Erholung als Trainingstool: Faszien & Regeneration

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Wenn es darum geht, stärker, fitter oder widerstandsfähiger zu werden, denken viele zuerst an:

  • Trainingspläne

  • Reps, Sätze, Wiederholungen und Intensität

  • Neue Übungen oder Equipment

All das ist wichtig. Und inzwischen wissen selbst viele, die regelmäßig und ambitioniert trainieren: Erholung und Regeneration sind feste Bestandteile des Trainingsprozesses. Aber zu einer wirklich effektiven Erholung gehört mehr, als einfach nur mal „faul“ zu sein oder eine Pause einzulegen.

Aus Sicht der Faszien und des Nervensystems ist Ruhe kein Gegenpol zum Training – sondern ein essenzieller Teil davon. Die Qualität Ihrer Erholung und die Art, wie Sie Ihren Körper zwischen den Trainingseinheiten unterstützen, bestimmen maßgeblich, wie sich Ihr Gewebe anpasst, wie Sie sich fühlen und wie lange Ihr Körper leistungsfähig bleibt.

In diesem Artikel schauen wir uns an:

  • Was Ihre Faszien zwischen den Trainingseinheiten machen

  • Warum ständige Überlastung nach hinten losgehen kann

  • Wie Ruhe, Bewegung und Körperarbeit gemeinsam zu langfristiger Gesundheit beitragen können


1. Was Ihre Faszien nach dem Training tun

Faszien sind nicht nur passive „Verpackung“ um die Muskeln. Sie sind lebendiges, anpassungsfähiges Gewebe, das:

  • auf Belastung reagiert (wie viel, wie oft, in welche Richtung)

  • seine Dichte und Organisation über die Zeit verändert

  • bei der Kraftübertragung und elastischen Federung mitwirkt

Nach dem Training brauchen Ihre Faszien Zeit, um:

  • sich wieder zu durchfeuchten (Flüssigkeitsaustausch im Gewebe)

  • kleine Mikro‑Belastungen zu reparieren und Kollagenfasern neu zu organisieren

  • sich an die Muster anzupassen, die Sie am häufigsten wiederholen

Wenn Sie diese Zeit nicht einräumen, vermitteln Sie im Grunde:

„Wir erwarten, dass Sie sich schnell anpassen – aber die nötigen Ressourcen stellen wir nicht zur Verfügung.“

Dann können sich Gewebe mit der Zeit:

  • steif und „klebrig“ anfühlen

  • länger wund anfühlen als gewohnt

  • anfälliger für Überlastung und Verletzungen werden


2. Stress, Faszien und der „immer an“-Körper

Es ist nicht nur das körperliche Training, auf das Ihre Faszien reagieren.

Nervensystem und Faszien sind eng miteinander verbunden. Unter anhaltendem Stress – sei es durch Arbeit, Familie oder den ganz normalen Alltag – schaltet der Körper häufig in einen Zustand von:

  • erhöhtem Muskeltonus (ein feines, ständiges „Sich‑Zusammennehmen“)

  • schneller, flacher Atmung

  • weniger echter Regeneration im Ruhe‑ und Reparaturmodus

Aus Sicht der Faszien bedeutet das oft:

  • eine dauerhafte, unterschwellige Grundspannung

  • kaum Gelegenheit, wirklich weich zu werden und sich neu zu organisieren

  • „Hintergrund‑Anspannung“ in Bereichen wie Kiefer, Nacken, Schultern oder Beckenboden

Wenn Sie dann ohne ausreichende Erholung noch intensives Training oben draufsetzen, wird Ihr System gleich doppelt gefordert: mental/emotional und körperlich.


3. Erholung vs. „nichts tun“: Was Regeneration wirklich bedeutet

Erholung heißt nicht zwangsläufig, drei Tage nur auf dem Sofa zu liegen (auch wenn das manchmal genau das Richtige sein kann).

Aus Sicht von Faszien und Nervensystem umfasst Regeneration zum Beispiel:

  • Schlaf: Tiefer, regelmäßiger und möglichst erholsamer Schlaf ist eines der besten „Recovery-Tools“ für Faszien und Muskulatur.

  • Leichte Bewegung: Spazierengehen, sanfte Mobilisation, lockeres Radfahren – Bewegungen, die den Flüssigkeitsaustausch anregen, ohne den Körper stark zu belasten.

  • Das Nervensystem runterfahren: Alles, was aus dem Dauerhaften-Alarmzustand herausführt – etwa Atemübungen, Zeit in der Natur oder bewusste Pausen ohne Bildschirm und Scrolling.

  • Manuelle Therapie / Körperarbeit: Rolfing® Strukturelle Integration, ScarWork™, Massage und andere Methoden, die dem Gewebe helfen, weicher zu werden, sich neu zu organisieren und unnötige Spannung loszulassen.

Erholung bedeutet also weniger „nichts tun“, sondern vielmehr:

„Dem Körper die Bedingungen geben, die er braucht, um zu reparieren, sich anzupassen und gestärkt zurückzukommen.“


4. Was passiert, wenn Sie nie wirklich pausieren

Kurzfristig kommen viele noch durch mit:

  • hartem Training

  • zu wenig Schlaf

  • dem Ignorieren kleiner Warnsignale

Über die Zeit zeigen sich jedoch oft:

  • hartnäckige Beschwerden, die nie ganz verschwinden

  • das Gefühl, „müde, aber aufgekratzt“ zu sein – erschöpft, aber nicht wirklich entspannt

  • immer häufigere Verletzungen oder die gleichen „Baustellen“ im Körper

  • der Eindruck, dass Training nur noch Energie raubt, statt welche zu geben

Aus Sicht der Faszien kann das bedeuten:

  • Das Gewebe bleibt zu dicht und zu fest

  • Die Gleitfähigkeit zwischen den Schichten nimmt ab (es fühlt sich „rostig“ oder blockiert an)

  • Ausweichmuster verfestigen sich, statt sich aufzulösen

Ihr Körper versucht, Sie zu schützen – aber ohne echte Erholung hat er immer weniger Spielraum.


5. Erholung als festen Teil des Trainingsplans denken

Statt:

  • „Ich ruhe mich aus, wenn ich verletzt bin.“

  • „Ruhetage sind was für Faule.“

könnten Sie Folgendes ausprobieren:

Geplante Ruhetage
Mindestens 1–2 Tage pro Woche ohne intensive Belastung einplanen.
Diese Tage dürfen trotzdem leichte Bewegung enthalten – etwa Spaziergänge oder sanfte Mobilisation.

„Deload“-Wochen
Alle paar Wochen den Trainingsumfang oder die Intensität bewusst reduzieren, damit das Gewebe aufholen und sich anpassen kann.
Das ist besonders sinnvoll bei schwerem Krafttraining oder hoher Stoßbelastung.

Schlaf als Trainingsvariable
Wenn möglich, 7–9 Stunden Schlaf pro Nacht anpeilen.
Behandeln Sie das Zubettgehen wie einen wichtigen Termin – nicht als Restposten am Ende des Tages.

Körpersignale als Feedback nutzen – nicht als Zeichen von Schwäche
Achten Sie darauf, wann „normale Trainingsmüdigkeit“ in anhaltende Schmerzen, tiefe Erschöpfung oder Widerwillen vor dem Training umschlägt.


6. Wo faszienorientierte Körperarbeit hineinpasst

Manuelle Methoden wie Rolfing® Strukturelle Integration oder ScarWork™ ersetzen weder Training noch Erholung – sie können aber beides sinnvoll unterstützen.

Sie helfen dabei:

  • chronische Spannungen zu lösen, die Ihr Körper vielleicht schon als „normal“ abgespeichert hat

  • Ausrichtung und Bewegungsmuster zu verbessern, sodass Belastungen gleichmäßiger verteilt werden

  • alte Narben weicher und integrierter zu machen, die sonst die Kraftübertragung im Körper verändern können

  • dem Nervensystem eine klare Erfahrung zu vermitteln: „Es ist sicher, loszulassen.“

Viele Menschen berichten nach einer Serie von Sitzungen:

  • Das Training fühlt sich effizienter an – weniger Kampf gegen den eigenen Körper

  • Die Erholung wird tiefer – Sie bleiben nicht mehr ständig im Alarmmodus

  • Sie spüren besser den Unterschied zwischen „guter Anstrengung“ und „zu viel Druck“


7. Einfache Fragen, um Ihre Regeneration zu überprüfen

Sie können sich zum Beispiel fragen:

  • Fühle ich mich an Trainingstagen oft erschöpfter als an Ruhetagen – selbst bei leichten Trainings Einheiten?

  • Schlafe ich gut und wache halbwegs erholt auf – oder habe ich das Gefühl, nie wirklich aufzutanken?

  • Flammen dieselben Bereiche (z.B. unterer Rücken, Knie, Schultern) immer wieder auf, egal wie viel ich dehne oder kräftige?

  • Gestehe ich mir Erholung zu, bevor mich Schmerz oder Erschöpfung dazu zwingen?

Wenn Ihnen mehrere dieser Punkte bekannt vorkommen, geht es vielleicht weniger darum, „noch mehr zu tun“, sondern eher darum, besser zu regenerieren.


8. Training, Faszien und langfristige Gesundheit

Sie müssen sich nicht zwischen „aktiv sein“ und „den Körper schützen“ entscheiden.

Aus Sicht von Faszien und Nervensystem sieht langfristige Gesundheit oft so aus:

  • Genug Belastung, damit Gewebe stark und anpassungsfähig bleiben

  • Genug Erholung und Abwechslung, damit sie reparieren und sich neu organisieren können

  • Genug Aufmerksamkeit, um den Kurs zu korrigieren, bevor der Körper laut werden muss

Erholung ist keine Belohnung, die man sich erst „verdienen“ muss. Sie ist:

Eines der wichtigsten Werkzeuge, damit Training – und auch Ihr Alltag – auf Dauer für Sie arbeiten kann.

Wenn Sie Unterstützung suchen, diese Balance zu finden, kann faszienorientierte Körperarbeit wie Rolfing® Strukturelle Integration oder ScarWork™ ein Weg sein, Ihrem Körper beim Loslassen alter Muster zu helfen, tiefer zu regenerieren und langfristig anpassungsfähig zu bleiben.


Weiterführende Literatur

Wenn Sie sich näher dafür interessieren, wie Belastung, Erholung und Stress den Körper langfristig beeinflussen, können diese Quellen ein Einstieg sein:

  • McGill SM (2015). Low Back Disorders: Evidence‑Based Prevention and Rehabilitation. Human Kinetics.

  • Sapolsky RM (2004). Why Zebras Don’t Get Ulcers. Holt.

  • Hübscher M (2018). Schmerzen verstehen – warum der Schmerz nicht im Gewebe sitzt. Springer.

Diese Literatur bietet allgemeine Hintergrundinformationen zu Belastung, Regeneration und Schmerzverarbeitung und ersetzt keine individuelle medizinische Diagnostik oder Behandlung.


Über den Autor:

Tobias Elliott-Walter ist zertifizierter Rolfer® für Strukturelle Integration, ScarWork™-Spezialist, Sivananda-Yogalehrer und internationaler Mentor mit Sitz in Saarbrücken. Mit über zwei Jahrzehnten Führungserfahrung in Europa, Asien, dem Nahen Osten und Nordamerika bringt Tobias eine einzigartige, kultursensible Perspektive in die Körperarbeit und ganzheitliche Gesundheit ein.

Seine Praxis vereint strukturelle Körperarbeit, Bewegung, Ernährung, Stressmanagement und Achtsamkeit, um Menschen dabei zu unterstützen, sich besser zu bewegen, zu fühlen und zu leben. Tobias setzt sich leidenschaftlich dafür ein, insbesondere Expats, Berufstätige im Wandel und Menschen in Veränderungsphasen zu stärken und ihnen Wege zu nachhaltigem Wohlbefinden und persönlichem Wachstum aufzuzeigen. Sitzungen sind auf Deutsch und Englisch, vor Ort oder online, sowie flexibel für internationale Klient:innen möglich.

Qualifikationen:

  • Zertifizierter Rolfer® (European Rolfing® Association, München)

  • ScarWork™-Praktiker für integrative Narbentherapie

  • Zertifizierter Sivananda-Yogalehrer (Bahamas Ashram, 2018)

  • Heilpraktiker in Ausbildun

Tobias’ Arbeit basiert auf wissenschaftlich fundierten Strategien, internationaler Mentoring-Erfahrung und einer ganzheitlichen Perspektive, die Zusammenarbeit, Anpassungsfähigkeit und lebenslanges Lernen in den Mittelpunkt stellt. Sein Ziel ist es, jede:n Klient:in individuell auf dem Weg zu nachhaltiger Gesundheit zu begleiten – unabhängig vom Wohnort oder den aktuellen Herausforderungen.

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Wichtiger Hinweis:

Dieser Artikel dient ausschließlich Informationszwecken und ersetzt keine medizinische Beratung. Die hier geteilten Informationen basieren auf aktueller wissenschaftlicher Forschung und praktischer Erfahrung. Bei gesundheitlichen Beschwerden wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Therapeuten.

© 2025 Tobias Elliott-Walter. Alle Rechte vorbehalten.

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